Freitag, 14. September 2007

Fragen: Rike Beier In Baden-Württemberg gibt es seit 30 Jahren keine verfasste Studierendenschaft mehr. Mit welcher Argumentation wurde die VS abgeschafft?
Mit dem 1977 verabschiedeten Hochschulrahmengesetz durften die Länder die Verfassten Studierendenschaften beibehalten werden, mussten es aber nicht. Die damalige Landesregierung Baden-Württembergs unter Ministerpräsident und ex Nazi-Marinerichter Filbinger sah darin ihre Chance gekommen, "den terroristischen Sumpf an den Universitäten auszurotten" (Filbinger). Ein weiteres Zitat Filbingers: "Wenn es uns gelänge, mit dem RCDS, der Jungen Union oder der Schüler-Union die ASten zu besetzen, wäre die Lage anders." Tatsächlich war auch der RCDS gegen eine Abschaffung, weil es ihm in den Jahren zuvor gelungen war, einige Studierendenvertretungen zu übernehmen.
Neben den Vorwürfen des linksradikalismus und der verfassungsfeindlichen Einstellung der Studierenden waren auch die Mitgliedschaft in einer Zwangskörperschaft, die geringe Wahlbeteiligung und angebliche Veruntreuung und/oder Verschwendung von Mitteln die von der Landesregierung vorgeschobenen Argumente. Vergleiche hierzu: www.verfasste-studierendenschaft.de Die Studierendenschaften wurden aufgehoben, ihr Vermögen wurde von den Hochschulleitungen eingezogen und die meisten Beschäftigten entlassen. Seitdem ist ein Süd-AStA nurmehr ein Ausschuss des Senates ohne Finanz- und Satzungshoheit und darf sich nur mit kulturellen, musischen und sportlichen Themen beschäftigen. Was bedeutet das für die Selbstverwaltung der Studierenden? Wie organisiert ihr euch? An vielen Universitäten und Hochschulen wurden nach 1977 unabhängige ASten gegründet. Je nach Hochschulart und Größe gibt es unterschiedlichste Organisationsformen. Drei grundlegende Organisationsformen (u-Modelle) sind jedoch zu erkennen: ein fachschaftsbasiertes Modell (z.B. Freiburg und Heidelberg), ein Stupa-Modell (z.B. Karlsruhe) und ein Kollektiv-Modell (z.B. Konstanz). Unabhängige ASten besitzen oft einen Trägerverein, um die politisch Aktiven finanziell zu decken. Weil ein das u-Modell tragender Verein im Gegensatz zum offiziellen AStA nicht von der Hochschulverwaltung abhängig ist kann er sich durchaus mit politischen Themen beschäftigen. Salopp gesagt treten in Freiburg die u-Modell-(oder usta, etc.) tragenden Listen zu den offiziellen AStA-Wahlen an, gewinnen die Wahl und üben dann AStA und u-asta-Mandat in Personalunion aus. Dadurch werden Infrastruktur und Finanzmittel des AStA für den u-asta zumindest teilweise nutzbar. Im Freiburger Modell kann sich jedeR Studierende in den unabhängigen Fachschaften, Referaten und Arbeitskreisen einbringen. Wie finanziert ihr eure politische Arbeit? Und welche Probleme bringt das mit sich? Die Finanzierung politischer Kampagnen ist für uns oft problematisch. Im Freiburger u-asta erhalten nur die vier Büro-Servicekräfte ein HiWi-Gehalt. Der AStA hat 30.000 Euro pro Jahr zur Verfügung. Davon werden neun ReferentInnen eingestellt. Die übrigen ca. 8.000 euro können für Projekte im Rahmen der "musischen und kulturellen" Kompetenzen des AStA und für Büromaterial ausgegeben werden. Jedoch muss jede Ausgabe einzeln beim Rektorat beantragt weden. Neun der dreizehn eingestellten ReferentInnen spenden ihr komplettes Gehalt weiter an den u-asta. Weitere "Einnahmen" gibt es z.B. aus dem Schwimmbadmarkenverkauf und aus Spenden von "Nord-Asten", also euch. Die Probleme dabei liegen auf der Hand. Auf der einen Seite müssen wir jeden Bleistift bei der Univerwaltung beantragen, die diese Anträge dann nach Gutdünken ablehnen kann, auf der anderen Seite sind wir für politsche Kampagnen auf das Wohlwollen von Nord-Asten angewiesen, denn die "regulären" Spendeneinnahmen decken zwar die laufenden Ausgaben wie z.B. die Druckkosten für unsere Zeitung, aber sehr viel mehr bleibt nicht übrig. Was plant ihr genau, damit die Verfasste Studierendenschaft on Baden-Württemberg wieder eingeführt wird? Für Semesterbeginn plant die LAK BaWü eine Kampagne zum 30jährigen Verbot der Verfassten Studierendenschaft. Dabei soll es an den teilnehmenden Hochschulen Aktionswochen geben. Es sollen Briefe und Postkarten an die Hochschulleitungen und MdLs verschickt werden, ausserdem sind wir dabei einen Gesetzesentwurf zur Wiedereinführung der VS zu formulieren. Es gibt viele weitere Ideen für Aktionen, wie eine Unterschriftensammlung, Plakate und Flyer, Mahnwachen und Infostände etc. In den Stellungnahmen der Hochschulsenate zum neuen Landeshochschulgesetz (Erste Gesetz zur Umsetzung der Föderalismusreform im Hochschulbereich - EHFRUG) forderten schon vier Hochschulen (auch die der Uni Freiburg) die Wiedereinführung der VS. Auch auf diesen ersten kleinen Schritt wollen wir aufbauen. Was erhofft ihr euch von der Kampagne? An sich sind in Baden-Württemberg alle Parteien ausser der CDU für eine Wiedereinführung der Verfassten Studierendenschaft. Leider vergisst dass die FDP dann regelmäßig bei den Koalitionsverhandlungen. Wir wollen mit unserer "Mundtot-KAmpagne" diesen Herbst das Thema wieder in die öffentliche Diksussion einbringen. Manche StudiengebührenbefürworterInnen argumentieren, dass Studierende durch die Einführung der Gebühren wieder mehr Mitbestimmungsrecht haben, vor allem was die Verteilung der Studiengebühren angeht. Wie steht ihr zu dieser Argumentation? Die Forderung nach der Wiedereinführung der VS an die Studiengebühren zu koppeln, wie dies einige Studierendenvertretungen tun kann auf den ersten Blick natürlich eine verlockend einfache Argumentationslinie sein. Ich persönlich halte sie jedoch für sehr gefährlich. Nicht nur, weil man damit Studierendenvertretungen in Bundesländern, die bisher von Studiengebühren verschont geblieben sind in den Rücken fällt. Nimmt man einmal an die Landesregierung ließe sich mit dieser Argumentation von der Wiedereinführung der VS überzeugen. Und nimmt man dann noch (rein hypothetisch natürlich) an, es würde bei der nächsten Landtagswahl völlig überraschend eine rot-grüne Koalition gewählt, die die Studiengebühren wieder abschafft. Müssten dann nicht konsequenterweise auch die ASten wieder abgeschafft werden? Man demontiert doch vielmehr den eigenen Demokratiebegriff, wenn man demokratische Mitspracherechte auf Grund einer nun vorhandenen Zahlungspflicht einfordert. Abgesehen davon möchte ich, dass die Studierenden als Mitglieder der Hochschulen an deren demokratischer Selbstverwaltung teilhaben, und nicht als Kunden einen diffusen Anspruch auf die Qualität des Bildungsproduktes versuchen geltend zu machen. Grundsätzlich spricht natürlich auch der schon erwähnte Effekt der Legitimation der Gebühren dagegen. Wir haben hier in Freiburg leider die Erfahrung gemacht, dass die durchaus konstruktiven Vorschläge der Studierenden komplett übergangen wurden und die Hochschulverwaltung nun dennoch in der Öffentlichkeit behaupten kann, die Mittel würden in Zusammenarbeit mit dem AStA und den Fachschaften verteilt. Unter diesen Umständen bin ich persönlich gegen jegliche Kooperation mit den Hochschulen bei der Mittelverteilung. Wir konnten jedoch sehr anschaulich machen (weil es in der Praxis so gelaufen ist und nicht nur eine Befürchtung war), dass die Studierenden keine besseren Mitsprachemöglichkeiten hatten. Außerdem führte die intensive Beschäftigung mit dem Thema natürlich dazu, dass wir viele "Missbräuche" von Studiengebühren aufdecken konnten und diese öffentlich angeprangert haben (z. b. die Postkarte "Anleitung zur Veruntreuung von Studiengebühren"). Baden-Württemberg und Bayern besitzen die sozial selektivsten Bildungssysteme der Welt - das galt schon vor der Einführung von Studiengebühren. Daraus ergibt sich für uns meiner Ansicht nach eine besondere Verantwortung auf dieses Grundübel stets aufmerksam zu machen und dagegen vorzugehen - was ein Hinnehmen oder eine Teil-Legitimation absolut ausschließt. Jede Studierendenschaft sollte Mitbestimmungsrechte im Sinne der Gruppenuniversität haben, ob es nun die Gebühren gibt oder nicht.