Freitag, 14. November 2008

Artikel in der u-asta info zur Voll- versammlung

Ein kritischer Blick zurück. Beschlosseneer Boykott und fragwürdiges Verfahren. Undemokratische Vollversammlung.

Die Vollversammlung (VV), einberufen vom AStA, ist gemäß Landeshochschulgesetz (LHG) explizit verboten. Die Vollversammlung (VV) aller Studierenden ist vom u-asta mindestens einmal im Semester einzuberufen. Sie ist das höchste beschlussfassende Organ der unabhängigen Studierendenschaft. Jeder Studierende ist stimm-, rede- und antragsberechtigt. Sie dient dazu, alle Studierenden mit der Arbeit des u-asta bekannt zu machen und sie an dessen Beschlussfassung teilhaben zu lassen. Sie sollte einen Rahmen bieten, in dem Anträge und Beschlussvorlagen vorgestellt, diskutiert, gegebenenfalls abgeändert und beschlossen werden, in der Hoffnung, dass sich möglichst viele der Anwesenden durch das Eingebundensein in den legislativen Prozess auch dazu angeregt sehen, sich an der Umsetzung ihrer Entscheidungen zu beteiligen. Die erste VV im Wintersemester ist regelmäßig eine ganz besondere (und für höhere Semester zumindest zu Beginn relativ langweilige) Veranstaltung. Schließlich ist es die erste VV für die frisch geschlüpften Erstsemester, die daher auch zunächst einmal mehr oder weniger eloquent vom frisch gewählten Vorstand den u-asta und die Welt erklärt bekommen. Fast immer gibt es nach der Vorstellung des u-asta und der Referate noch, sozusagen als Dreingabe, irgend etwas abzustimmen, sozusagen um sich schon einmal an den (für die Erstis) frisch erlernten partizipativen Fähigkeiten zu üben. So wird das übliche Spiel durchgespielt: Antragsvorstellung, Diskussion, Änderungsanträge, Geschäftsordnungsanträge, Abstimmung über Änderungsanträge, Diskussion des geänderten Gesamtantrags, Beschlussfassung. Die Diskussion hat dabei eine zentrale Funktion inne. Anhand ihrer soll der zu beschließende Antrag von allen Perspektiven beleuchtet und kritisch hinterfragt werden. Für die Erstis, frisch aus der Lernfabrik Schule, kann das sicher je nach Interesse erstaunlich oder erstaunlich langweilig sein.

Dass jedoch eine Diskussion gleich von vornherein per GO-Antrag abgewürgt und unterbunden wird (und dann der Gesamtantrag trotz Änderungen nicht noch einmal diskutiert wird, was wohl auch vielen Erstis nicht klar war), ist nicht nur verfahrenstechnisch fragwürdig, sondern zutiefst undemokratisch, wird dabei doch jegliche Kritik von vornherein ausgeschlossen. Und wo sonst, als auf der VV oder eben hier, in diesem altehrwürdigen Blatt, sollte Kritik denn sonst angebracht werden können?

(u-asta info 786, 13.11.2008, S. 4)

Gut Boykott will Weile haben. Warum eine gute Idee zum falschen Zeitpunkt mehr Schaden als Nutzen anrichtet

Ein erfolgreicher Boykott ist eine starke Waffe. Er kann ein sinnvolles Mittel sein, um politische Ziele zu erreichen, wenn er auf breiter Basis beruhend, gut vorbereitet und zum richtigen Zeitpunkt stattfindet. Ich will nicht grundsätzlich gegen diese Protestform argumentieren, sondern einige Anregungen geben, wieso ein Boykott in diesem Semester unter Umständen mehr Schaden als Nutzen bringen könnte.

Zielsetzungen

Was kann ein Boykott erreichen? Das langfristige und hauptsächliche Ziel eines Studiengebührenboykottes ist die Abschaffung eben dieser. Es sollte jedoch allen Beteiligten klar sein, dass dies kurzfristig nicht erreicht werden kann. Das kurzfristigere Ziel bei Erreichen des Quorums ist es daher, die Rückmeldung aller Boykottierenden ohne Zahlung der Studiengebühren durchzusetzen. Diese Entscheidung jedoch liegt nicht im Ermessen des Rektorats. Würde das Rektorat den Boykott akzeptieren und die 4000 Studierenden ohne Zahlung der Gebühren zurückmelden, käme es in Konflikt mit dem Landeshochschulgebührengesetz (LHGebG) und müsste sich gegenüber dem Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst (MWK) verantworten. Das Rektorat stünde also vor der Wahl, das Gesetz zu brechen oder ein paar tausend Studierende zu exmatrikulieren und dabei in der Öffentlichkeit unter Druck zu geraten. Höchstwahrscheinlich würde es die Entscheidung dem MWK überlassen und versuchen, sich dadurch aus der Verantwortung zu ziehen. Verhandlungspartner im Falle eines Erreichens des Quorums ist also nicht das Rektorat, sondern die Landesregierung und damit unser aller Freund und Minister Frankenberg. Damit wird die Entscheidung über den Boykott von einer verfahrenstechnischen zu einer politischen. Frankenberg wiederum wird wegen 4000 oder 5000 Studierenden keinesfalls seine Position bezüglich der Studiengebühren ändern und erst recht nichts unternehmen, um diese wieder abzuschaffen. Baden-Württemberg war eines der sechs CDU-geführten Bundesländer, welche die Klage gegen das Verbot allgemeiner Studiengebühren im Hochschulrahmengesetz angestrengt und 2005 gewonnen haben. Mit der Rückmeldung von Boykottierenden würde Frankenberg einen bundesweiten Präzedenzfall mit weit reichenden Konsequenzen schaffen. Die politischen Kosten einer Rücknahme des Gesetzes wegen einiger tausend Boykottierender wären weitaus höher als die ihrer Exmatrikulation. Dafür wäre weitaus mehr Druck nötig. Deswegen hatten wir uns beim letzten Boykott (an dem viele weitere Hochschulen in Ba-Wü und bundesweit teilnahmen) auch für ein so genanntes Landesquorum entschieden. Setzt man die Ziele eines Boykotts niedriger an und versucht zum Beispiel, im Falle des Erreichens des Quorums auf Hochschulebene mit der Universitätsverwaltung größere Mitsprache- und Mitentscheidungsrechte oder weitgehendere Befreiungstatbestände auszuhandeln (welche im Ermessen des Rektorats liegen), stehen die Chancen auf Erfolg schon besser. Jedoch lässt sich mit dieser Zielsetzung im Vorfeld lange nicht so gut argumentieren und polarisieren wie mit der Maximalforderung des kostenfreien Studiums. Wie das Quorum erreichen? Bisher wurde an keiner großen Hochschule das Quorum je erreicht. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Die meisten Studierenden lassen sich nicht durch einen Flyer oder ein Plakat davon überzeugen, zu boykottieren, sondern durch direkte Ansprache und Peer-Pressure (viele ihrer KommilitonInnen sind ebenfalls vom Boykott überzeugt). Dies lässt sich daran erkennen, dass Quoren zu Boykotts in den vergangenen Semestern nur an kleinen Hochschulen (unter 1000 Studierende) mit vergleichsweise großen Boykottgruppen erreicht wurden, so zum Beispiel an der HFG und MHS in Karlsruhe oder an der HFBK in Hamburg. Um das Quorum von 4000 Studierenden zu erreichen, bräuchten wir demnach statt einer Boykottgruppe mit 10, 20 oder 50 Aktiven eher einige hundert. Diese sind, wenn überhaupt, dann nur durch schon lange im Voraus geplante Einbindung der u-Fachschaften aufzubringen. Lehren aus dem letzten Boykott Zurück zu meiner Eingangsthese, dass ein Boykott zwar das richtige Mittel ist, dieses aber zum falschen Zeitpunkt angewendet wird. Der letzte Boykott fand zum ersten Gebührensemester in Ba-Wü und mehreren anderen Bundesländern statt. Das Medieninteresse war enorm, die Stimmung gegen Gebühren ebenfalls (wie die Umfrage zweier Soziologiestudenten im Dezember 2006 zeigte). Mobilisierung und Polarisierung gegen Gebühren war daher relativ einfach. Bundesweit gab es in fast allen Gebührenländern an dutzenden Hochschulen Boykottversuche. Wir hier im nichtverfassten Süden konnten auf breite materielle, finanzielle, logistische und ideelle Unterstützung aus dem Norden zählen. Wir hatten die Möglichkeit, schon mehrere Monate vor Beginn der Vorlesungszeit mit der Vorbereitung des Boykotts zu beginnen. Es hat sich jedoch gezeigt, dass selbst dieser Zeitraum nicht ausgereicht hat. Meine These daher: Die Vorbereitungen für einen Boykott, angefangen mit der landes- und bundesweiten Vernetzung über die Produktion von Materialien bis hin zu Verhandlungen mit Anwälten, dem Entwurf der AGB und dem Rekrutieren von Helfern sollten bestenfalls ein Jahr vor dem angepeilten Stichtag begonnen werden. Dabei sollten möglichst viele landes- und bundesweit relevante Gremien, Organisationen und Gruppierungen eingebunden werden, um an möglichst vielen Hochschulen gleichzeitig zu boykottieren und ein möglichst großes Medienecho zu erzeugen. Denn Frankenberg kann ohne Probleme 3000 oder 4000 Studierende exmatrikulieren, jedoch nicht 10000 oder 20000. Es sollte versucht werden, auch andere gesellschaftliche Gruppen außerhalb der studentischen Milieus mit einzubinden, wie z.B. SchülerInnenvertretungen oder Gewerkschaften, und dabei das Thema Chancengerechtigkeit im Bildungssystem anzusprechen, um dem Argument vorzubeugen, die Studierenden kümmerten sich mal wieder nur um ihre eigenen Belange und der Lehrling müsse ja schließlich auch Lehrgeld zahlen. Eine weitere Lehre aus dem vergangenen Boykott ist, dass das Boykottmodell möglichst simpel und transparent sein sollte. Je komplexer das System (1./2. Stichtag wie dieses Mal in Freiburg oder harter/weicher Boykott wie letztes Jahr in Heidelberg), desto schwerer ist es zu kommunizieren und umso schwerer sind dann auch die KommilitonInnen davon zu überzeugen, sich zu beteiligen, auch wenn solche Modelle vielleicht in sich logischer und erfolgversprechender erscheinen. Wie ein erfolgreicher Boykott aussehen kann Es muss darauf geachtet werden, jederzeit zu kommunizieren, dass es bei einem „erfolgreichen“ Boykott keine Sicherheit vor Exmatrikulation an sich gibt, sondern dass diese Sicherheit nur aus der Masse an teilnehmende StudentInnen und aus deren Solidarität entstehen kann. Selbst die Univerwaltung, zumindest aber das Studierendensekretariat müssen vorab über den Boykott informiert werden, denn ein erfolgreicher und „sicherer“ Boykott ist auf die Kooperation der Mitarbeiter angewiesen, allein schon um die Matrikelnummern der Boykottierenden überprüfen zu können und zu verhindern dass Teilnehmende aufgrund von „Zahlendrehern“ exmatrikuliert werden. Daher sind ziellose und unsinnige Selbstbespaßungen wie der „Antragsflut“ mit Vorsicht zu genießen. Das soll nicht bedeuten, dass von jeglicher Konfrontation mit der Verwaltung abzusehen ist. Sehr wohl aber, dass ebendiese wohl durchdacht in der richtigen Form zum richtigen Zeitpunkt für sinnvollere Zwecke einzugehen sind. Langfristig geplanter Boykott statt Aktionismus Wie geht es weiter, wenn, wider Erwarten, das Quorum erreicht wird, aber Rektorat und MWK gar nicht erst auf unsere Forderungen eingehen und uns ignorieren? Lassen wir uns dann alle einfach exmatrikulieren? Wohl kaum. Gäben wir klein bei, würde aus unserer stärksten Waffe eine stumpfe, ein bei unachtsamem Toben zerbrochenes Spielzeug. Auf absehbare Zeit ließe sich dann hier, und vielleicht sogar in ganz Ba-Wü, ein Boykott nicht mehr durchführen. Und bei Nichterreichen des Quorums? Nun, mal ganz abgesehen von den beträchtlichen finanziellen und personellen Kosten würde auch hier das Instrument Boykott diskreditiert, und mit ihm auch die Studierendenvertretung im Ganzen, die dann, so könnten unsere Freunde vom RCDS argumentieren, wieder einmal ein ganzes Semester nichts auf die Reihe bekommen hat als einen gescheiterten Boykott. Es wäre wünschenswert, wenn alle diejenigen, die sich dieses Semester zusammengefunden haben, um an einem Boykott mitzuarbeiten, ihre Energie dazu nutzten, langfristig an Konzepten und Vorbereitungen zu arbeiten und einen von langer Hand geplanten Boykott, z.B. 2009/10, vorzubereiten, anstatt sich in blindem studentischen Aktionismus zu stürzen und aufzureiben und nur Scherbenhaufen zu hinterlassen. Statistiken des Boykotts von 2007 UNI Stuttgart (Quorum 4200 bis 15. Februar): 1377 UNI Tübingen (Quorum 6100 bis 15. Februar): 1768 UNI Karlsruhe (Quorum 4500 bis 23. März): 257 UNI Freiburg (Quorum 5500 bis 15. Februar): 2100 UNI Heidelberg (Quorum 4500 bis 15. Februar): 1184 PH Heidelberg (Quorum nicht erreicht): 788 HfM Karlsruhe (Quorum erreicht): 126 HfM Trossingen (Quorum 100/ Quorum nicht erreicht) : 65 HfG Karlsruhe (Quorum erreicht): 149 Kunstak. Karlsruhe (Quorum erreicht): 141 PH Karlsruhe (Quorum nicht erreicht): 206 HS Karlsruhe (Quorum 1500 bis 23. Februar): 127 PH Freiburg (Quorum nicht erreicht): 771 HS Mannheim (Quorum nicht erreicht): 266 zum Stichtag 15. Februar 2007. Quelle: LAK BAWü (u-asta info, 13.11.2008, S. 6-7)